Die Landeskulturkonferenz MV 2024 

Unter dem Motto „Offen für alle“ fand am 16. Oktober 2024 die Landeskulturkonferenz Mecklenburg-Vorpommern in Parchim statt.
Über 250 Teilnehmende, darunter Kulturschaffende, politische Vertreter und Interessierte, kamen zusammen, um sich über die Rolle von Kunst und Kultur in einer vielfältigen, inklusiven Gesellschaft auszutauschen und gemeinsam motivierende Zukunftsbilder zu erarbeiten. Die Konferenz bot ein breites Spektrum an Diskussionen, Workshops und Keynotes zu den zentralen Themen Nachhaltigkeit, Teilhabe und Diversität. Die Konferenz ermöglichte einen vielseitigen Austausch darüber, wie Kunst und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern zur Förderung von Teilhabe und gesellschaftlichem Zusammenhalt angesichts aktueller Entwicklungen beitragen können.

In ihrer Begrüßungsrede zur Landeskulturkonferenz Mecklenburg-Vorpommern 2024 betonte Kulturministerin Bettina Martin die Bedeutung eines offenen und vielfältigen Kulturverständnisses. „Offen für alle“ sei nicht nur das Motto der Konferenz, sondern auch ihr persönlicher Anspruch an unsere Gesellschaft. Kunst und Kultur könnten maßgeblich dazu beitragen, Räume der Offenheit und Teilhabe zu schaffen. Sie würdigte die Kulturmühle Parchim als ein Beispiel für kulturelle Juwelen im ländlichen Raum.

Die Ministerin reflektierte zudem über den Umgang mit erstarkendem Rechtspopulismus im Land. Kunst und Kultur könnten hier ein Gegengewicht sein, indem sie den Dialog auch in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und unversöhnlicher Standpunkte fördern. Sie betonte, die Konferenz auch nutzen zu wollen, um gemeinsam motivierende Zukunftsbilder zu besprechen und zu entwickeln, die das gesellschaftliche Miteinander stärken können. Barrieren in der Kultur müssten konsequent abgebaut werden, damit Kunst und Kultur tatsächlich allen zugänglich sind. Initiativen wie die Beratungsstelle für Inklusion und Diversität in Kunst und Kultur mit dem dazugehörenden Teilhabefonds oder das Projekt “Queere Vielfalt” in Bibliotheken und Soziokultur sind Schritte in diese Richtung.

Mit Blick auf das kommende Jahr verkündete Martin, dass die Landeskulturkonferenz 2025 in Neubrandenburg stattfinden werde – ein Zeichen der Solidarität angesichts der jüngsten Vorfälle vor Ort, die im Rücktritt des Bürgermeisters nach dem Verbot der Regenbogenfahne mündeten. Bettina Martin dankte allen, die sich den aktuellen Herausforderungen stellen und sich für eine offene und solidarische Gesellschaft einsetzen.

In seiner anschließenden Keynote mit dem Titel „Allein machen sie dich ein. Zusammenhalt schafft Zuversicht“ betonte Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (geschäftsführender Kulturminister und Chef der Staatskanzlei Thüringen) die Bedeutung eines inklusiven und offenen Kulturverständnisses. Hoff würdigte die sogenannten „local heroes“ – Menschen, die mit Engagement und Beharrlichkeit den Kulturbereich lebendig halten. Gleichzeitig gäbe es bei vielen Menschen dennoch ein Gefühl der fehlenden Selbstwirksamkeit, so Hoff.
Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff stellt fest: Kulturinstitutionen leisten eine Art Übersetzungsarbeit, indem sie gesellschaftliche Diskurse in künstlerische Ausdrucksformen übertragen und den Dialog fördern. Hoff stellte außerdem klar: Dass die „Welt aus den Fugen“ sei, sei kein Ergebnis, sondern der Ausgangspunkt, von dem aus wir überlegen müssen, wie wir sie wieder in die Fugen bringen können. Die Themen der Landeskulturkonferenz MV 2024, wie Nachhaltigkeit und Teilhabe, bieten dabei die notwendigen Leitplanken auf dem Weg.

Er unterstrich, dass Kunst unabhängig, aber niemals neutral sein kann, und bezeichnete Kultur als unverzichtbare Infrastruktur. Trotz schwieriger finanzieller Bedingungen müsse die Kulturförderung als öffentliche Daseinsvorsorge gesichert bleiben – ein notwendiger Schritt, um künftigen Generationen eine intakte Infrastruktur zu hinterlassen.

Podium Demokratiemotor Kultur

Im darauffolgenden Podiumsgespräch „Demokratiemotor Kultur“ diskutierten Bettina Martin (Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europawissenschaften), Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (war ab 2014 Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei Thüringen), Birgit Lohmeyer (Autorin, Dozentin), Uta Rüchel (Projektleitung „Demokratie? Eine Frage der Verfassung!“, Soziologin), Dr. Claire Bortfeld (Leitung des Referats Demokratieförderung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Thomas Ott-Albrecht (Intendant Junges Staatstheater Parchim) über die Rolle der Kultur in der Demokratieförderung. Ott-Albrecht berichtete, dass sein Theaterprogramm in Parchim Denkanstöße gebe, ohne fertige Ergebnisse vorzugeben, und durch die Zusammenarbeit mit Schulen ein diverses Publikum erreicht werde. Die gebürtige Parchimerin Dr. Claire Bortfeld unterstrich die Notwendigkeit vielfältiger politischer Formate, um die Gesellschaft besser anzusprechen. Uta Rüchel betonte, Kultur müsse Raum für Diskurs schaffen und dürfe nicht alles durchprogrammieren. Hoff und Martin schlossen an, dass Demokratie mehr als klare Gegensätze zulassen müsse und auch die Meinungen zwischen Progressivem und Konservativem zu Wort kommen sollten. Eine Abstimmung zeigte, dass die große Mehrheit des Publikums Kultur als eine demokratische Aufgabe versteht, es gab jedoch auch Gegenstimmen. Martin hob hervor, dass auch Grau- und Zwischentöne und auf der Landeskulturkonferenz MV ihren Platz haben sollten.

Förderpreisverleihung Soziokultur

Der Programmteil in der Kulturmühle am Nachmittag startete mit der Verleihung des Förderpreises Soziokultur durch Schirmherrin Bettina Martin und die Fachstelle Soziokultur MV. Für ihr kulturelles und gesellschaftliches Engagement wurden der Freundeskreis Popkultur e.V. aus Bad Sülze und Die Platte lebt e.V. aus Schwerin ausgezeichnet.

Impulsvortrag Transformation ist Teamsport

Jacob Sylvester Bilabel betonte in seinem Vortrag „Transformation ist ein Teamsport“, dass es bei der ökologischen Nachhaltigkeit nicht um Einschränkungen des künstlerischen Schaffens und Verzicht geht, sondern um ökologisch optimierte Betriebsabläufen im Hintergrund, damit Kultur langfristig wettbewerbsfähig bleibt. Notwendig für eine ökologische Transformation ist die Zusammenarbeit verschiedener Ministerien und politischer Bereiche.

Immersiver Workshop Awareness Mess

Der immersive Workshop vom Körperfunkkollektiv regte die Teilnehmenden dazu an, über Strukturen nachzudenken, die benötigt werden, um ein inklusives und angenehmes Umfeld zu schaffen. Der Austausch und die Gespräche unter den Teilnehmenden nach dem Workshop verdeutlichten das Interesse an dem Thema und die Bereitschaft zur Diskussion.

Impulsvortrag Kunstfreiheit – oder die gesellschaftliche Verantwortung der Kulturakteure

In ihrem Impulsvortrag forderte Birgit Lohmeyer Künstler:innen und Kulturakteur:innen dazu auf, aktiv gegen Rechtsextremismus vorzugehen und ihre Stimme zu erheben. Sie kritisierte das von antidemokratischen Parteien propagierte Verständnis von förderfähiger und wertvoller Kunst und betonte, dass Kunstfreiheit auch eine Verantwortung für den Erhalt der Demokratie bedeute.

Impulsvortrag Teilhabe

Im Impulsvortrag zum Thema „Teilhabe“ beleuchteten Selina Wippler und Mark Sternkiker die Herausforderungen, denen Kulturakteur:innen in der kulturellen Bildung im Land gegenüberstehen. Sie hoben insbesondere die infrastrukturellen Defizite im ländlichen Raum hervor, thematisierten aber auch die Barrieren innerhalb der eigenen Einrichtungen sowie Schwierigkeiten, die angestrebte Zielgruppe zu erreichen. Mark Sternkiker betonte aus einer Praxisperspektive die Notwendigkeit, langfristige Bindungen mit der Zielgruppe aufzubauen, um erfolgreiche Projekte umzusetzen und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.

Quattrolog

Im Quattrolog “Offen für Vielfalt?” stellte Anni Steinhagen die Möglichkeiten vor, die Kulturprojekte in Wismar bieten: Kunst und Kultur können Sprachbarrieren überwinden und als “Integrationsbooster” wirken. Die Bibliothek, in der Steinhagen arbeitet, könne dabei nicht nur als Ort der Mediennutzung, sondern vor allem als Raum für Begegnungen genutzt werden. Herausforderungen sieht Anni Steinhagen vor allem im komplexen Antragswesen und in der Abgrenzung zwischen ständiger Erreichbarkeit und persönlicher Grenzziehung als „Brückenbauerin“. Arne Papenhagen, Geschäftsführer des Instituts für neue Medien, sprach über das FISH Filmfestival, das international Freiwillige und Filmschaffende einbindet. Frau Dr. Van Vu vom Verein Diên Hông betonte, dass Migration mit Identität verbunden ist und Migration längst nicht nur Flucht bedeutet. In ihrem Projekt „Vielfalt verstehen, Vielfalt leben“ wird diese Vielfalt künstlerisch und biografisch erlebbar. Die afghanische Künstlerin Hafiza Qasimi, die für die Rechte afghanischer Frauen kämpft, fand mit ihren Werken von Rostock bis Schwerin Anklang und öffnete so Türen zu Gemeinsamkeiten in der Vielfalt.

Wege ins Theater

Das moderierte Gespräch „Wege ins Theater“ zeigte eine breite Palette an Ansätzen zur Theatervermittlung, von klassischen Theaterbetrieben bis hin zu aufsuchendem, mobilem Theater sowie einem generationenübergreifenden Tanzprojekt für Menschen zwischen 20 und 70 Jahren. Intendant Thomas Ott-Albrecht betonte die Bedeutung fest verankerter Institutionen wie des jungen Staatstheaters Parchim, die der nächsten Generation als Basis für zukünftige Entwicklungen dienen können. Schauspieler Alexander Altomirianos thematisierte den Publikumsverlust der Theater und sieht in Teilhabe eine Chance, neue Zielgruppen anzusprechen und die Lebensrealitäten der Menschen stärker einzubeziehen. Vor allem das Kinder- und Jugendtheater eröffne hier Potenziale, auch Erwachsenen einen niedrigen Einstieg in den Bereich Theater zu ermöglichen, ergänzte Ott-Albrecht. Choreografin und Tänzerin Claudia Senoner sieht in der Etablierung von professionellem und Laientanz in Wismar ebenfalls Potenzial für neue kulturelle Impulse. Stephan Wagner von der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz Mecklenburg Vorpommern e.V. plädierte zudem dafür, marginalisierte Gruppen aktiver in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und das Publikum aus seiner passiven Rolle zu holen, um eine integrativere Theatergemeinschaft zu schaffen.

Abschlusspanel

Im Programmpunkt „Resümee und Ausblick“ zogen Selina Wippler, Anni Steinhagen, Erik Raab und Stefanie Müller-Durand zentrale Erkenntnisse aus ihren Impulsen und Workshops. Wippler berichtete über ihren Vortrag zum Thema Teilhabe, in dem sie gemeinsam mit Mark Sternkiker herausarbeitete, dass Projekte zur Teilhabe besonders im ländlichen Raum strukturelle Hürden überwinden müssen und barrierearme, langfristige Konzepte nötig sind, um die Zielgruppe effektiv zu erreichen. Erik Raab stellte in seinem Gespräch „Wege ins Theater“ die wechselseitige Unterstützung zwischen aufsuchenden Theaterprojekten und großen Institutionen wie dem jungen Staatstheater Parchim heraus, die durch mobile und integrative Angebote neue Zielgruppen erreichen können.

Stefanie Müller-Durand reflektierte die Diskussionsfreude und Offenheit der Teilnehmenden ihres Workshops. Sie stellte als zentrales Ergebnis fest, dass es für eine funktionierende Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, Kultureller Bildung und Demokratieförderung ausreichend Zeit und klare Rahmenbedingungen braucht. Dabei sei es wichtig, die kulturelle Bildung nicht als „Demokratieretterin“ zu instrumentalisieren, sondern deren tatsächliche Bedeutung und Möglichkeiten langfristig zu verstehen und zu fördern.

Anni Steinhagen schloss mit einem Resümee zum Quattrolog „Offen für Vielfalt“ und hob hervor, dass interkulturelle Öffnung bedeutet, aktiv auf Multiplikator:innen zuzugehen und Räume zu schaffen, die sich Menschen aneignen können. Als Beispiel nannte sie ihre Zusammenarbeit mit der afghanischen Künstlerin Hafiza Qasimi in der Stadtbibliothek Wismar, die zeigte, wie Kunstzugang bereits vor dem Spracherwerb beginnen kann. Raab ergänzte, dass es für erfolgreiche Projekte Mut und Bereitschaft braucht, sich außerhalb der Komfortzone zu bewegen und so auch andere zu inspirieren.

Anschließend hatten die Teilnehmenden der Konferenz die Möglichkeit, Fragen und Impulse zu geben. Einige Teilnehmende wünschten sich eine intensivere Einbindung des Publikums und brachten ihre eigenen Sichtweisen in die Diskussion ein, um zukünftige Konferenzen interaktiver zu gestalten. Ebenfalls wurde aus dem Publikum die Frage aufgeworfen, wie die Ergebnisse des Tages konkret genutzt würden. Das Podium bekräftigte daraufhin seinen Wunsch, die erarbeiteten Impulse konsequent weiterzuverfolgen. Stefanie Müller-Durand erwähnte in diesem Zuge, die Verwertung ihrer Workshop-Erkenntnisse für das Praxiskonzept Kulturelle Bildung Mecklenburg-Vorpommern, an dem gerade unter Beteiligung des Kultusministeriums und der Fachstelle Kulturelle Bildung MV gearbeitet wird. Katerina Schumacher vom Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europawissenschaften unterstrich die Bedeutung der Konferenz, um Stimmungen einzufangen, Entwicklungen anzupassen und Kulturschaffende zu ermutigen.
Zum Abschluss formulierten die Podiumsgäste ihre Wünsche für die Zukunft. Selina Wippler betonte, dass es eine Herausforderung, aber auch eine wichtige Aufgabe sei, Kultur als Querschnittsaufgabe weiter zu etablieren und dafür Politik und Verwaltung stärker zu sensibilisieren. Erik Raab hob das Thema faire Vergütung im Kulturbereich (Fair Pay) als ebenso zentrale Aufgabe für die kommenden Jahre hervor.